Deutsches Schulbarometer: Die Armut wird im Klassenzimmer immer offensichtlicher

Immer mehr Kinder und Jugendliche machen sich Sorgen um die finanzielle Situation ihrer Familie, wie aus dem gerade veröffentlichten Deutschen Schulbarometer der Robert Bosch Stiftung GmbH hervorgeht. Laut einer repräsentativen Befragung von Lehrkräften hat die Kinderarmut im Vergleich zum Schuljahr 2021/22 in allen Bevölkerungsschichten zugenommen, insbesondere in sozial benachteiligten Gebieten. Neben den Sorgen um die finanzielle Situation der Eltern (33 Prozent; in sozial schwierigen Lagen: 48 Prozent) stellen Lehrkräfte fest, dass Schüler:innen häufiger ohne ausreichende Schulmaterialien auskommen müssen (37 Prozent; in sozial schwierigen Lagen: 64 Prozent) und ohne Frühstück in die Schule kommen (30 Prozent; in sozial schwierigen Lagen: 54 Prozent). Des Weiteren nehmen weniger Kinder und Jugendliche an Vereinsaktivitäten teil (29 Prozent; in sozial schwierigen Lagen: 51 Prozent) und besuchen seltener Schullandheime (24 Prozent; in sozial schwierigen Lagen: 37 Prozent).

Dr. Dagmar Wolf, Leiterin des Bereichs Bildung der Robert Bosch Stiftung, betont: "Arme Kinder haben oft ein höheres Risiko, arme Erwachsene zu werden. Diesen Teufelskreis müssen wir durchbrechen. Fehlendes Geld im Elternhaus beeinträchtigt die Teilhabe junger Menschen am sozialen und kulturellen Leben und hat auch Auswirkungen auf ihre psychosoziale Gesundheit. Neben einer bedarfsdeckenden Kindergrundsicherung ist daher eine armutssensible Herangehensweise der Pädagog:innen erforderlich. Sie müssen nicht nur die Auswirkungen von Armut auf Kinder und Jugendliche erkennen können, sondern auch gegen Stigmatisierung vorgehen."

Lehrkräfte beklagen Konzentrationsprobleme ihrer Schüler:innen und beobachten Ängste 

Das Verhalten der Schüler:innen (34 Prozent) und die eigene Arbeitsbelastung (31 Prozent) sind aktuell die größten Herausforderungen für die Lehrkräfte. Mehr als drei Viertel beobachten Konzentrationsprobleme in ihren Klassen (81 Prozent; 2022: 80 Prozent) und beklagen eine übermäßige Online-Nutzung (79 Prozent; an Grundschulen bereits 66 Prozent). Beinahe jede dritte Lehrkraft (31 Prozent) nimmt zudem Ängste bei den Kindern und Jugendlichen wahr. Motivationsprobleme (70 Prozent; 2022: 80 Prozent), aggressives Verhalten (27 Prozent; 2022: 39 Prozent) und unentschuldigtes Fernbleiben vom Unterricht (15 Prozent; 2022: 38 Prozent) haben im Vergleich zu den Befragungen während der Corona-Pandemie abgenommen.  

Zwei Drittel der befragten Lehrkräfte in Teilzeit sind grundsätzlich bereit aufzustocken – aber nur unter bestimmten Voraussetzungen

Seit Beginn des Jahres werden Maßnahmen gegen den akuten Lehrkräftemangel diskutiert. Als kurzfristige Lösung wird u.a. die Aufstockung der Arbeitszeit von Teilzeitbeschäftigten vorgeschlagen. Vor diesem Hintergrund geben 38 Prozent der Befragten an, derzeit in Teilzeit zu arbeiten. Zwei Drittel dieser Teilzeit-Lehrkräfte sind grundsätzlich bereit, aufzustocken – bei den unter 40-Jährigen sind es sogar 73 Prozent. Allerdings nur unter bestimmten Bedingungen. So fordern sie u.a. die Umstellung des Deputatsmodells auf ein Arbeitszeitmodell, das die tatsächliche Arbeitszeit abbildet und auch Aufgaben außerhalb des Unterrichts berücksichtigt (73 Prozent). Weniger private Sorgearbeit in der Familie (40 Prozent) und eine bessere Betreuungssituation für die eigenen Kinder (26 Prozent) sind weitere Voraussetzungen dafür, dass Lehrkräfte mehr Stunden arbeiten könnten. 

„In unserem aktuellen Schulsystem wird der Lehrkräftemangel nicht dadurch behoben, dass Teilzeit-Lehrkräfte mehr arbeiten“, sagt Wolf. „Der Arbeitsplatz Schule muss wieder attraktiver werden. Dazu gehört, die Sorgen der Lehrkräfte ernst zu nehmen und auf ihre Reformforderungen einzugehen. Eine umfassende Änderung des Arbeitszeitmodells kann Druck aus dem System nehmen und wäre ein erster Schritt zu einem zukunftsfähigen Bildungssystem.“
 

Über das Deutsche Schulbarometer 

Mit dem Deutschen Schulbarometer lässt die Robert Bosch Stiftung seit 2019 regelmäßig repräsentative Befragungen zur aktuellen Situation der Schulen in Deutschland durchführen. Für die aktuelle Ausgabe wurden zwischen dem 13. und 23. Juni 2023 insgesamt 1.032 Lehrkräfte an allgemein- und berufsbildenden Schulen in Deutschland vom Meinungsforschungsinstitut forsa befragt.

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