Wie Sie Kinder fürs Lernen begeistern

Sieben Fertigkeiten, die Kinder dazu motivieren, mitzuarbeiten

Während meines ersten Jahres als Lehrerin ähnelte meine Vorstellung davon, wie Zusammenarbeit entsteht, dem Nike-Slogan: „Just do it!“ Ich hatte viel Zeit darauf verwendet, den Tag sorgfältig zu planen und in eine Reihe sinnvoller Unterrichtsstunden einzuteilen. Wir hatten viel Stoff zu bearbeiten und wenig Zeit dazu. Wenn die Schüler also einfach still dasitzen und „zusammenarbeiten“ würden, könnten wir unsere Unterrichtszeit maximieren.

Zusammenarbeit bedeutet: zusammen auf ein gemeinsames Ziel hin zu arbeiten. Allerdings stellte ich fest, dass manche Schüler sich verhielten, als ob es ihr gemeinsames Ziel wäre, meine Arbeit zu boykottieren! Mitten in der Hausaufgabenkontrolle fragte jemand, ob er auf die Toilette gehen dürfe, ein Papierflieger flog durch den Raum und ein Schüler fiel vom Stuhl.

Was war mit diesen Kindern los? War ihnen nicht klar, wie wichtig Bildung für sie war? Wieso konnten sie sich nicht ein wenig Selbstkontrolle üben?

Dann eines Tages während der Pausenaufsicht zusammen mit einer älteren Kollegin beobachtete ich eine Gruppe von Schülern, die sich gegenseitig schubsten, schoben und anschrien, weil sie uneins waren, wer an der Reihe sei, mit einem Ball zu spielen. Meine Kollegin rollte mit den Augen und sagte: „Schau sie dir an. Sie sind unreif. Wieso verhalten sie sich so kindisch?“ Ich gab einen nicht zu deutenden Laut von mir. Aber bei mir dachte ich: „Vielleicht liegt es daran, dass sie Kinder sind, und vielleicht müssten wir Erwachsene ein bisschen verständnisvoller dafür sein, wie sich echte Kinder verhalten.“

Als ich Jessie im Lehrerzimmer traf, berichtete ich ihr von meiner großen Erkenntnis während der Pausenaufsicht. Jessie schüttelte den Kopf. „Was du siehst, ist mehr als einfach nur kindisches Verhalten. Manche von diesen Kindern sind mit Problemen konfrontiert, die wir uns nicht einmal hätten vorstellen können, als wir aufwuchsen. Ich habe Kinder in meiner Klasse, die kaum je ihre Eltern sehen. Die traurige Wahrheit ist, dass Kinder in der heutigen Welt mit beispiellosem Stress und Vernachlässigung konfrontiert werden. Wenn wir uns irgendwelche Hoffnungen machen wollen, dass wir ihnen helfen können, akademische Fähigkeiten zu erlangen, müssen wir ihnen helfen, ein wenig von dem emotionalen Gepäck abzuladen, das sie mit in unsere Klassenzimmer nehmen. Das bedeutet unsere Rolle als Lehrer muss sich so verändern, dass sie auch viele Elemente der Kindererziehung enthält.“

Ich vermutete, Jessie habe recht. Obwohl manche meiner Kinder vorbereitet und wissensdurstig in die Schule kamen, schienen andere abgelenkt und bedürftig. Vielleicht erklärte das, wieso sie sich meinen einfachsten Fragen verweigerten. Was auch immer zu Hause vor sich ging, lenkte ihr Verhalten auch in der Schule. Auf eine Weise, die fast Sinn ergab. Wenn Nils seine Mutter fragte, ob er ihr seinen Aufsatz vorlesen dürfe, sagte sie ihm, er solle sie in Ruhe lassen. (Ihr Freund hatte sie gerade verlassen.) Eriks Mutter war chronisch depressiv. Was konnte irgendeines dieser Kinder über Zusammenarbeit wissen?

Sie lernten sie sicherlich nicht von ihren Eltern. Natürlich konnte ich nicht ändern, was bei ihnen zu Hause geschah. Aber vielleicht konnte ich ändern, was in der Schule geschah.

Als ich über meinen Lehrstil nachdachte, musste ich zugeben, dass ich manchmal wie ein Offizier klang, der Befehle kläffte:

  • „Spitz deinen Bleistift.“
  • „Heb die Hand, bevor du sprichst.“
  • „Schreibt euren Namen auf das Blatt.“
  • „Bleib sitzen.“
  • „Nehmt eure Bücher raus.“
  • „Augen auf dein eigenes Blatt.“
  • „Bleibt in der Reihe.“
  • „Nicht so laut.“
  • „Kaugummi in den Müll.“
  • „Sei vorsichtig mit dem Computer!“
  • Ich sagte den Kindern nicht nur, was sie tun sollten, sondern auch, was sie nicht tun sollten:
  • „Im Gang wird nicht gelaufen.“

Statt Inhalte zu lehren, verbrachte ich die meiste Zeit mit dem Versuch, meine außer Kontrolle geratenen Schüler zu kontrollieren. Aber wenn ich das nicht tat, wie würden sie dann je lernen, sich auf zivilisierte Weise zu benehmen? Und doch schien es, dass sie umso mehr Widerstand leisteten, je mehr Befehle ich gab. Wertvolle Unterrichtszeit ging durch Trotz und Machtkämpfe verloren. An besonders harten Tagen hatte ich meine ganze Geduld, Energie und Stärke verbraucht, wenn ich nach Hause ging.

Ich kehrte zu meiner Ausgabe von „So sag ich‘s meinem Kind“ zurück ... und las das Kapitel „So fördern Sie die Zusammenarbeit mit ihrem Kind“ noch einmal. All die Beispiele spielten sich zu Hause ab. Wie wäre es, wenn ich sie durch Beispiele aus der Schule ersetzte? Ich warf meine Anmerkungen zu einer der Übungen aufs Blatt und brachte sie am nächsten Tag mit in die Schule, um sie meinen Kollegen in der Pause zu zeigen. Während sie ihren Kaffee tranken, sagte ich: „Okay Leute. Lasst uns Schule spielen – noch einmal. Ich bin die Lehrerin; ihr seid meine Schüler. Während ihr mir zuhört, stellt euch selbst die Frage: Welche Gedanken und Gefühle hat diese Lehrerin bei mir ausgelöst? Dann gebt mir eure offene Rückmeldung.“ „Auf keinen Fall“, sagte Jan und streckte die Hand nach meinem Blatt aus. „Ich war letztes Mal schon die Laborratte. Wie wäre es, wenn ich diesmal der Lehrer bin und ihr auf mich reagiert?“ Wir stimmten zu. Hier folgen die Aussagen, die Jan vorlas und die Reaktionen der „Schüler“ – Maria, Jessie und ich: Lehrer: (vorwurfsvoll und beschuldigend) Du hast schon wieder deinen Bleistift vergessen? Womit, dachtest du, würdest du schreiben? Jetzt müssen wir den Unterricht unterbrechen, und die Zeit aller wird verschwendet, während wir einen Bleistift für dich suchen. Reaktionen der Schüler: „Ich fühle mich gedemütigt.“ „Nie mache ich etwas richtig.“ „Der Lehrer ist gemein.“

Lehrer: (beleidigend) Du musst ganz schön dumm sein, um einen Aufsatz abzugeben, ohne darauf zu kommen, deinen Namen darauf zu schreiben.

Reaktionen der Schüler: „Ich hasse Sie!“ „Ich mache alles falsch.“ „Ich schätze, ich bin dumm.“

Lehrer: (drohend) Wenn ich noch ein Papierkügelchen fliegen sehe, schmeiße ich dich so schnell aus dem Klassenzimmer, dass sich dein Kopf dreht. Und wenn du mit diesem Verhalten weitermachst, wirst du von der Schule geschmissen!

Reaktionen der Schüler: „Das glaube ich Ihnen nicht.“ „Das ist mir egal!“ „Ich habe Angst.“

Lehrer: (kommandierend) Hört auf zu reden. Legt eure Hefte weg. Stellt euch in eine Reihe. Jetzt. Los!

Reaktionen der Schüler: „Ich bin nicht Ihr Sklave.“ „Ich mache es, aber langsam.“ „Wie kommt man aus diesem Gefängnis raus?“

Lehrer: (spielt den Märtyrer) Wegen euch Kindern gehe ich jeden Abend mit Kopfschmerzen nach Hause. Seht ihr diese grauen Haare? Für jeden von euch gibt es ein graues Haar.

Reaktionen der Schüler: „Ich werde Ihnen ein Flasche Haarfärbemittel kaufen.“ „Ich wünschte, ich müsste nicht hier sitzen. Dieses Gejammer muss ich mir nicht anhören.“ „Es ist meine Schuld.“

Lehrer: (sarkastisch) Niemand erinnert sich an das Jahr, in dem Kolumbus Amerika entdeckt hat? Fantastisch. Diese Schule scheint Minderbemittelte magnetisch anzuziehen. Die einzige Möglichkeit, den IQ der Klasse zu heben, ist, wenn ihr alle auf eure Stühle steigt.

Reaktionen der Schüler: „Ich bin dumm. Ich kann mir nichts merken.“ „Diese Schule scheint Minderbemittelte wirklich magnetisch anzuziehen. Schaut euch nur die Lehrerin an.“ „Zum Teufel mit der ...!“

Lehrer: (prophezeiend) Mit deiner Arbeitshaltung wirst du nie einen Job bekommen. Und wenn du keine besseren Noten bekommst, wird dich auch keine Universität nehmen.

Reaktionen der Schüler: „Es hat keinen Zweck.“ „Ich bin schlecht.“ „Wieso sollte ich es versuchen? ... Ich gebe auf.“

Als die Übung vorbei war, starrten wir uns an. Jessie formulierte, was wir uns dachten: „Wenn wir schon solche Wut und Verzweiflung fühlen, wenn wir nur so tun, als seien wir Schüler, wie müssen sich dann echte Schüler fühlen?“

„Besonders, wenn sie auch zu Hause diese Art zu reden hören“, ergänzte Maria. „Meine Schwester sagt ihren Kindern immer: ‚Wenn eure Noten nicht besser werden, nehme ich euch den Fernseher weg.‘ ‚Du solltest lernen wie dein Bruder. Vielleicht würdest du dann auch Einsen bekommen.‘ ‚Du machst deine Aufgaben nicht, weil du faul bist.‘ Sie ist immer hinter ihren Kindern her und der Vater belehrt die Kinder ständig.“

„Die Spezialität meines Vaters war Sarkasmus“, sagte Jessie. „Ich vermute, er dachte, er sei witzig oder clever. Er sagte etwa: ‚Du hast das Buch aus der Bibliothek verloren? Das war aber sehr verantwortungsvoll von dir.‘ Als ich jung war, hat mich das verwirrt. Ich dachte: ‚Wie kann es verantwortungsvoll sein, etwas zu verlieren? Als ich älter wurde, hat mich sein Sarkasmus wirklich verletzt, und ich wollte ihm auch etwas Sarkastisches entgegnen. Manchmal tat ich es. Leider wurde ich darin sehr gut. Als ich anfing zu unterrichten, kamen die Worte einfach so aus meinem Mund, vor allem wenn ich frustriert war. Ich erinnere mich, wie ich zu einem trödelnden Kind gesagt habe, was mein Vater mir tausende Male gesagt hatte: ‚Bist du von Natur aus langsam – oder hilft dir jemand dabei?‘ Die ganze Klasse grölte.“

„Und dieses Gelächter“, sagte Jan, „ist Musik in den Ohren eines Lehrers. Es spornt uns zu noch extremerem Sarkasmus an.“

„Ich weiß“, sagte Jessie feierlich, „aber außer dem Gelächter, gibt es da ein Kind, das öffentlich fertiggemacht wird. Ich mache das nicht mehr.“

„Wie hast du es geschafft, dich davon abzuhalten?“, fragte Maria.

Jessie zog ein Gesicht. „Es ist etwas unangenehm, das zu erzählen. In meinem zweiten Jahr als Lehrerin hatte ich ein besonders störendes Mädchen in der Klasse. Mitten in der Stunde fiel Theresa nichts Besseres ein, als einen Spiegel hervorzuholen und an ihren Haaren herumzumachen.

Einmal befragte ich die Kinder über einen Text über das antike Ägypten. Keine einzige Hand wurde gehoben. Dann bemerkte ich, wie Theresa ihre Nägel feilte. Da reichte es mir! Ich sagte: ‚Nun, ich werde Theresa nicht um eine Antwort bitten. Sie beteiligt sich so intensiv an den Diskussionen in der Klasse, dass wir auch jemand anderem einmal eine Chance geben müssen.‘ Ein paar Kinder kicherten, aber zu meinem größten Erstaunen sah Theresa von ihren Nägeln auf und strahlte mich an. Sie dachte, ich meinte es ernst! Mein ‚Kompliment‘ hatte sie begeistert. Es war mir so peinlich, dass ich mir sagte: ‚Nie wieder! Wenn ich einem Kind zeigen will, dass ich unzufrieden mit ihm bin, muss ich es auf eine direkte Weise tun. Wenn ich witzig sein will, muss ich sicherstellen, dass es nicht auf Kosten eines Kindes geschieht.‘“

„Okay“, sagte Jan, „also viele Dinge, die wir normalerweise zu Kindern sagen, führen dazu, dass sie sich schlecht fühlen oder eine schlechte Meinung von uns bekommen. Aber es bleibt immer noch die Tatsache, dass es unsere Aufgabe ist, sie dazu zu bringen, dass sie sich benehmen.“

„Das stimmt“, fügte Maria hinzu. „Was sollten Lehrer stattdessen tun – außer zu versuchen, nett zu sein und Dinge zu sagen, wie: ‚Bitte tu dies‘, oder: ‚Bitte unterlasse das‘“?

„Aha“, sagte ich, zog meine Ausgabe von „So sag ich‘s meinem Kind“ hervor. „Die Antwort findet sich hierin.“ Ich schlug das Kapitel „So fördern Sie die Zusammenarbeit mit Ihrem Kind“ auf und zeigte die Comics  Jan und Maria. Jan studierte die Zeichnung. „Das sind alles Beispiele von zu Hause“, sagte er.

Während der restlichen Pause arbeiteten wir alle zusammen daran, die Prinzipien zur Förderung der Zusammenarbeit mit den Kindern auf die Schulsituation zu übertragen:

Die Mitarbeit der Kinder fördern

Erwachsener: Wer ist für das Chaos am Boden verantwortlich?

Statt zu fragen und zu kritisieren, können wir ...

  1. das Problem beschreiben.

„Ich sehe überall auf dem Boden weiße Farbe.“

Wenn Lehrer das Problem beschreiben, statt zu beschuldigen oder zu befehlen, sind Schüler eher bereit, sich verantwortungsbewusst zu verhalten.

  1. informieren.

„Es ist einfacher, Farbe zu entfernen, bevor sie trocknet.“

Wenn Lehrer informieren, ohne zu beleidigen, ist es wahrscheinlicher, dass Schüler ihr Verhalten ändern.

  1. Wahlmöglichkeiten anbieten.

„Du kannst es mit einem feuchten Lappen oder mit einem nassen Schwamm aufwischen.“

Drohungen und Befehle können dazu führen, dass Schüler sich hilflos oder trotzig fühlen. Auswahlmöglichkeiten öffnen die Tür zu neuen Möglichkeiten.

  1. es in einem Wort oder durch eine Geste ausdrücken.

„Die Farbe!“

Schüler hören nicht gerne Belehrungen oder lange Erklärungen. Ein einzelnes Wort oder eine Geste ermutigen sie über die Probleme nachzudenken und herauszufinden, was getan werden muss.

  1. unsere Gefühle beschreiben.

„Es gefällt mir nicht zu sehen, dass der Boden mit Farbe vollgekleckert ist.“

Wenn Lehrer ihre Gefühle ohne Hohn und Anschuldigung beschreiben, können die Schüler verantwortungsvoll zuhören und antworten.

  1. es aufschreiben.

Achtung an alle Künstler: Bitte hinterlassen Sie den Boden freundlicherweise im ursprünglichen Zustand. Vielen Dank, die Geschäftsführung.

Schüler blenden es oft aus, wenn Erwachsene sprechen, aber eine geschriebene Nachricht erreicht sie. 

  1. albern sein (verwenden Sie eine andere Stimme oder einen Akzent) und mit Humor an die Sache herangehen.
  • Singen Sie im Country-Western-Stil:
  • Ich seh’ Farbspur’n auf’m Belag,
  • Das ist kein Anblick, den ich mag,
  • Hol dein’ Mopp raus und die Lappen,
  • Und hilf, die Farbe fortzuschaffen. 

Humor versetzt alle gleich in eine gute Stimmung und die Kinder arbeiten dadurch bereitwilliger mit.

Wir waren zufrieden mit uns. Die Beispiele, die wir zusammen ausgearbeitet hatten, sahen so aus, als könnte man sie gut umsetzen – jedenfalls auf dem Papier. „Das Kunststück besteht nun darin“, sagte ich, „all diese großartigen Ideen in der Praxis anzuwenden.“

Diesen Artikel haben wir aus folgendem Buch entnommen:

Wie Sie Kinder fürs Lernen begeistern
Was Eltern und Lehrer wissen müssen
Faber, Adele, Elaine Mazlish
Oberstebrink
280 Seiten, 19,95 €
ISBN: 9783963040009

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