A·D·S-Kinder besser verstehen

Einige Gedanken zur Fassade, zu Hintergründen und Symptomen

Um A·D·S und A·D·S-Kinder richtig zu verstehen, sollten Sie einen Blick hinter die Fassade des A·D·S tun. Denn es reicht nicht aus, lautes, störendes Verhalten, Hyperaktivität, mangelnde Ausdauer und Konzentrations-Probleme unter den eher stigmatisierenden Begriffen „Zappelphilipp“, „Hans-Guck-in-die-Luft“ oder „Bösewicht“ zusammenzufassen. Seit dem Erscheinen von Struwwelpeter 1847 von dem Nervenarzt Dr. Hofmann haben wir vieles dazugelernt und erforscht.

Wir lernen Kinder mit ihren Familien oft erst kennen, wenn sie schon eine Odyssee durch verschiedene Therapien und Beratungen hinter sich haben und manchmal bereits mehrere Diagnose-Etiketten erhalten haben. Sind sie verhaltensgestört? Schlecht erzogen? Krank? Dumm? Oder doch nur faul? Warum sind die Beurteilung und das Verhalten so unterschiedlich? Viele Eltern können sich auf das Urteil der ErzieherInnen oder der LehrerInnen keinen Reim machen, weil sie ihr Kind in den Beschreibungen vom Verhalten im Kindergarten oder der Schule überhaupt nicht wiedererkennen. Kann es sein, dass sich ihr Liebling so unmöglich benimmt? Warum hat die Erzieherin Bedenken wegen des bevorstehenden Einschulungs-Termins und empfiehlt dringend eine Spieltherapie? Ihr Kind ist doch nicht verrückt oder minderbemittelt! Sollen sie sich Sorgen machen oder einfach über die Einwände hinwegsehen? … 

Von außen betrachtet… stehen die besonders anstrengenden Verhaltensweisen im Vordergrund: zappelig, chaotisch, explosiv, rücksichtslos mit anderen, schnell gelangweilt, unmotiviert zum Lernen, trödelig beim Arbeiten, schusselig, vergesslich, ungeduldig, laut … Solche Beschreibungen sind für Kinder mit A·D·S nicht untypisch. Die Kinder werden schnell als „Zappelphilipp“ und „Bösewicht“ einsortiert – und den Eltern wird ein Versagen in der Erziehung angelastet.

Die „Verhaltens-Fassade“ – also das von außen erkennbare Verhalten – verführt viele zu so schnellen Urteilen. Die Verhaltens-Auffälligkeiten treten in unterschiedlicher Ausprägung auf: Von leicht bis sehr stark und individuell sehr verschieden. Aber bei fast allen rufen sie ähnliche Reaktionen hervor: 

  • Klagen von den Lehrern
  • Forderung nach mehr und besserer Erziehung
  • Druck, mehr für die Schule zu üben
  • Hilflosigkeit und Verzweiflung bei den Eltern
  • Manchmal schlechtes Gewissen wegen eigener Überreaktionen
  • Ausgrenzung in Gruppen

Wenn man nur die äußeren Erscheinungs-Formen und Verhaltens-Auffälligkeiten betrachtet, wird schnell der Ruf nach mehr und besserer Erziehung und kompetenteren Eltern laut. Leider bleiben auch viele Fachleute an dieser vordergründigen Betrachtungsweise hängen und vergessen, genauer hinzuschauen und die Diagnose A·D·S in Erwägung zu ziehen. Die Eltern eines Kindes erlebten zum Beispiel wie sie als Eltern in Frage gestellt wurden. In den Spielsituationen in der Beratungsstelle wurde die Problematik des Kindes nicht so deutlich, weil sie sich mit der Therapeutin in einer „1:1-Situation“ befand und keine echte Leistungs-Anforderung zu bewältigen hatte. Auch das ist für Kinder mit A·D·S relativ typisch: Im engen Kontakt mit einem Erwachsenen oder auch im Spiel mit nur einem Kind können sie sehr aufmerksam, motiviert und liebevoll sein. Es ist ihnen möglich, ihre Intuition, Cleverness und Phantasie einzusetzen. Denn es ist wenig Ablenkung da, die sie aus dem Konzept bringen könnte. Und vor allem können sie die Situation und ihre Bedingungen gut überschauen. Das ist der Grund, warum dieses Kind sich in der Beratungsstelle ganz anders verhalten hatte als zu Hause oder im Kindergarten. Entsprechend anders fiel auch das Urteil der Therapeutin aus: „Nicole ist ein liebenswertes Mädchen mit altersentsprechendem Spielverhalten“. Nicoles Ablenkbarkeit, Impulsivität und Hyperaktivität kommen in der Gruppe und in für sie zunächst „reizintensiven“ Situationen mehr zum Tragen als in der überschaubaren familiären Welt oder in den Stunden mit der Kinderfrau, die durch intensive Zuwendung gekennzeichnet sind.

Die positiven Eigenschaften eines solchen Kindes bleiben in der Beurteilung leider vielen verborgen. Sie sehen nur das expansive, aneckende Agieren, das besonders in Gruppen, in der Schule oder bei bestimmten Anforderungen zu enormen Schwierigkeiten führt – und sie ziehen die falschen Schlüsse. Die ausschließliche Betrachtung des störenden Verhaltens ist vergleichbar mit dem Blick durch eine Milchglasscheibe. Man kann nur die Konturen der dahinterstehenden Person erkennen. Die Besonderheiten der Persönlichkeit – und vor allem die Ursachen und Bedingungen des einzelnen für sein Verhalten bleiben verborgen. Die Ursache des auffälligen Verhaltens und der möglicherweise zusätzlich bestehenden Entwicklungs-Defizite kann in neurobiologischen Besonderheiten in der Informations-Verarbeitung liegen. Deshalb kann man bei einigen Kindern mit ausgeprägtem A·D·S manchmal erst einen klaren Blick hinter die Fassade A·D·S erhalten und sich ein Bild über die individuellen Begabungen und persönlichen Stärken machen, nachdem zunächst die Stoffwechsel-Situation durch Medikamente (Stimulantien) optimiert worden ist (…). Bei diesen Kindern mit einem sehr ausgeprägten A·D·S verändern wir durch die Medikamente nie die Persönlichkeit, wir beeinflussen nur die Aufmerksamkeits-Funktionen und ermöglichen den Kindern eine bessere Informations-Verarbeitung. So erhalten sie die Möglichkeit, Signale aus ihrer Umgebung gezielter zu registrieren und ihrem Entwicklungsstand entsprechend zu nutzen und zu verarbeiten. Sie bekommen damit fast gleich gute Chancen, ihre Fähigkeiten einzusetzen, wie andere Kinder ohne A·D·S auch. Nicht nur wir, sondern viele Therapeuten, die seit Jahrzehnten A·D·S-Kinder behandeln und in ihrer Entwicklung begleiten, berichten immer selbst sehr fasziniert von dem „gewissen Etwas“ und dem hohen Maß an Kreativität, Ideenreichtum und Sensibilität dieser Kinder, sobald man einen Blick hinter die vordergründige Fassade des A·D·S gewinnt.

A·D·S: Ein Blick hinter die Fassade

In den neurologischen und psychologischen Untersuchungen und Testungen erweitern wir den Blickwinkel und bekommen ein genaueres Bild über den Arbeitsstil, die Begabungen, die individuellen Stärken und Schwächen und über die Ursachen der Verhaltensweisen. In den Untersuchungs-Situationen können wir viele von den Eltern, LehrerInnen und ErzieherInnen beschriebenen Verhaltensweisen nachvollziehen. Bei Aufgaben, die ein genaues Zuhören und/oder Hinschauen erfordern, fällt der oberflächliche, impulsive und flüchtige Arbeitsstil auf. Die Kinder produzieren dadurch viele „Schusselfehler“, sind unorganisiert, verwirrt und schnell frustriert. Die Ablenkbarkeit wird umso größer, je mehr Reizangebot zur Verfügung steht. Es ist dann auch nicht verwunderlich, dass die Kinder viele Informationen nicht richtig aufnehmen oder schnell vergessen.

Sie träumen dann vor sich hin, starren Löcher in die Luft, trödeln oder werden zappelig. Sie bekommen Einzelheiten und Signale der anderen teilweise nicht mit und reagieren falsch. Das Rad der negativen Lernerlebnisse dreht sich immer schneller. Am einfachsten ist es dann, den Anforderungen direkt auszuweichen oder sie zu verweigern. Würde es Ihnen nicht auch so gehen?

Trotz ihrer flüchtigen Arbeitsweise ist es immer wieder erstaunlich, wie gut die meisten dieser Kinder trotzdem in den Entwicklungs-Tests abschneiden. Beim schnellen Erfassen von logischen Zusammenhängen sind sie oft besonders fit. Sie können sehr schnell, kreativ und ideenreich Aufgaben lösen. Wenn ihnen etwas besonders gut gefällt, sind sie Feuer und Flamme und lassen sich dann kaum bremsen. Sie zeigen – oft zur Überraschung der Eltern – ungeahnte Fähigkeiten... 

Die 10 wichtigsten Symptome bei A·D·S

Auch wenn wir bei jedem Kind ein individuelles Entwicklungs- und Begabungs-Profil finden und selbstverständlich – wie bei allen anderen Störungen oder Krankheiten auch – sehr unterschiedliche Ausprägungsgrade des A·D·S sehen, gibt es Gemeinsamkeiten in den zutage tretenden Auffälligkeiten, die die Diagnose „A·D·S mit oder ohne Hyperaktivität“ ausmachen.

Hier eine kurze Zusammenstellung der zehn wichtigsten Symptome bei A·D·S:

1) Unaufmerksam und ablenkbar

Driftet mit der Aufmerksamkeit ab
Wechselt den Brennpunkt des Interesses

2) Hyperaktiv und/oder verträumt

Immer auf dem Sprung
Schaut Löcher in die Luft und träumt

3) Impulsiv

Handelt, ohne nachzudenken
Lebt Gefühle sofort aus
Abwarten fällt schwer

4) Vergesslich und schlechtes Kurzzeitgedächtnis

Vergisst schnell, besonders alltägliche Dinge
Alles, was nicht spannend ist, ist schnell aus dem Sinn
Verliert oft seine Sachen

5) Wirkt zerstreut oder chaotisch

Wenig Überblick und geringe Eigenorganisation

6) Regeln einhalten – eine der schwersten Übungen

Eigensinnig
Will nur seinen Willen durchsetzen
Alles und nichts wird endlos diskutiert

7) Arbeitsverhalten lässt zu wünschen übrig

Kein Überblick und wenig Strategie
Anfang ist schwer – lieber alles auf die lange Bank schieben

8) Stimmungslabil: Berg-und-Tal-Fahrt der Emotionen

Schnell gereizt und auf 180 – oder zu Tode betrübt
Stehaufmännchen: Kann auch schnell vergessen und Enttäuschungen wegstecken

9) Selbstwert-Gefühl im Keller

Manchmal nach außen „Powerman“ oder Clown – allerdings mit hochsensiblem Kern

10) Sozialverhalten – oft eine Katastrophe

Mangelnde Einschätzung von sich und den anderen
Integration in eine Gruppe – meist schwierig
Bekommt schnell die Rolle eines Außenseiters zugeschrieben

Darüber hinaus stößt man oft auf noch weitere mögliche zusätzliche Auffälligkeiten – nämlich Lern- und Entwicklungs-Probleme aufgrund von Wahrnehmungs-Verarbeitungs-Störungen – zum Beispiel:

  • Auffällige Körper-Wahrnehmung mit Auffälligkeiten in der Motorik (Schrift, Balancieren, Feinabstimmungen)
  • Auffällige Seh-Wahrnehmung mit Lese- und Schreibproblemen
  • Auffällige Hör-Wahrnehmung mit Auffälligkeiten in der Sprachentwicklung und Sprachverarbeitung und/oder Rechtschreibstörung

Diesen Artikel haben wir aus folgendem Buch entnommen:

Das ADS-Buch
Neue Konzentrationshilfen für Zappelphilippe und Träumer: Das OptiMind ® -Konzept
Aust-Claus, Elisabeth, Hammer, Petra-Marina
Oberstebrink
ISBN 9783980449366
Umfang: 320 Seiten

Kennen Sie auch Kinder, die ständig auf Hochtouren laufen, sich leicht ablenken lassen, ungeduldig und impulsiv reagieren, unorganisiert und chaotisch wirken, dauernd in Aktion sind und immer sofort ausflippen? Kinder, die zerstreut und vergesslich sind, nicht zuhören und „auf Durchzug“ schalten, vor sich hin träumen, nie fertig werden, oft ein „Brett vor dem Kopf“ haben und abwesend wirken? Die einen sind die hyperaktiven „Zappelphilippe“, die anderen die „Träumer“: Kinder mit A.D.S (Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom). Sie sind meist intelligent, phantasievoll, kreativ und oft sogar hochbegabt. Aber sie können die Flut von Eindrücken, die laufend auf sie einstürmen, nicht richtig filtern, sortieren und verarbeiten. Das führt schnell zum Chaos im Kopf. Deshalb flippen A.D.S-Kinder leicht aus – oder sie schalten einfach ab. Das führt zu Stress in der Familie, im Kindergarten und in der Schule. Das A.D.S-Buch zeigt, wie Sie A.D.S-Kindern helfen können, ihr Leben erfolgreich zu meistern. Mit OptiMind® – dem Team-Konzept für Eltern, Lehrer, Therapeuten. Das erste Buch aus kinderärztlicher und psychotherapeutischer Sicht – für die hyperaktiven „Zappelphilippe“ und die „Träumer“. Mit vielen Fallbeispielen und Checklisten, Plänen und Anleitungen.

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