April 2011

Praxis

Zähneputzen in der Kita

Zähneputzen im Kindergarten ist ein pädagogisches Abenteuer, das sich lohnt - wenn die Voraussetzungen stimmen.

Jeder tut es, täglich: Zähneputzen. Man könnte meinen, Zähneputzen sei ein Kinderspiel. Dabei ist es in Wirklichkeit äußerst kompliziert. Vor allem für Kinder. Es gilt, die richtige Menge Zahnpasta aus der Tube zu drücken und so auf dem Borstenkopf zu platzieren, dass sie nicht gleich wieder runter rutscht. Geschickt muss die kleine Kinderhand die Bürste zum Mund balancieren. Dort soll jeder einzelne Zahn hinten, vorn und unten gereinigt werden, vorsichtig, gründlich, mit wohl dosiertem Druck. Dann heißt es: Ausspülen und ins Waschbecken treffen, ohne sich zu bekleckern. Die Bürste auswaschen, den Becher auch. Alles wieder an seinen Platz zurückstellen.


Eine koordinatorische Höchstleistung ist das. Kinder benötigen viel Übung dazu. Sie brauchen Erwachsene an der Seite, die ihnen täglich zeigen, wie wichtig das Zähneputzen ist und wie man dabei vorgeht. Geht es nach der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, sollten ErzieherInnen diesen Job übernehmen. Zwar empfehlen die Experten genauso wie die American Dental Association, zweimal am Tag Zähne zu putzen. Die Pflege zu Hause müsste also eigentlich genügen. Aber nicht alle Eltern nehmen die Zahnpflege ihrer Sprösslinge ernst genug. Und: Gerade morgens vor dem Aufbruch in den Kindergarten und am Abend vor dem Zubettgehen herrschen in Familien Zeitdruck und Überforderung. Das Zähneputzen wird dann leicht zur lästigen, von Misstönen begleiteten Pflicht.
 

Zank und Streit am häuslichen Waschbecken

Im Kindergarten dagegen herrscht eine besondere Situation: Hier ist Zähneputzen eine pädagogisch begleitete Gemeinschaftserfahrung. Alle rundum, sieht das Kind, putzen sich die Zähne. Auf die Erzieherin zu hören fällt da nicht selten leichter als auf Mutter und Vater zu Hause. Und auch den Erzieherinnen und Erziehern kann es Spaß machen, Kindern zur Selbstständigkeit beim Zähneputzen zu verhelfen. Weiß man doch, dass frühe Gesundheitserziehung lebenslang Früchte trägt. Im Idealfall beaufsichtigt ein Erwachsener eine kleine Gruppe von Kindern im Bad. Er achtet darauf, dass die richtigen Bürsten verwendet werden und dass das Putzen mit Sorgfalt geschieht.

Geputzt wird erst eine halbe bis ganze Stunde nach dem Essen. Denn die Säure, zum Beispiel aus dem an sich so gesunden Obstnachtisch, greift den Zahnschmelz an. Beim Bürsten leiden die Zähne umso mehr. Nach dem Putzen zeigt die Erzieherin bzw. der Erzieher wie man die Bürste reinigt und unterstützt die Kinder dabei, Ordnung zu schaffen. Das tägliche Zähneputzen mit einer fluoridhaltigen Paste flankieren andere pädagogische Maßnahmen wie Zahnarztbesuche und Zahnarztspiele, Ernährungskunde und einfühlsame Elterngespräche vor allem dann, wenn Kinder ein besonders hohes Kariesrisiko haben. Es regiert ein Gesamtkonzept, das Kindern wie Eltern den Nutzen des Zähneputzens erschließt. So weit die Theorie.

Die tatsächlichen Bedingungen, unter denen das Zähneputzen in Kindergärten stattfindet, sind allerdings häufig düster: zu enge Waschräume, zu wenig Waschbecken, zu wenig Zeit zwischen Mittagessen und Abholung der Kinder und vor allem: zu wenig Personal. Eltern klagen darüber, dass Kinder ihre Bürsten vertauschen - unabhängig davon, ob alles mit Namen versehen ist. Bürsten rutschen auf dem Fußboden herum, Borsten biegen sich in alle Himmelsrichtungen, Zahnpastatuben verschwinden, T-Shirts sind weiß bekleckert. Im Nassraum entsteht Chaos, es bleibt keine Zeit zum Vorlesen vor dem Mittagsschlaf, das Putzen schluckt Stunden und ist trotzdem alles andere als gründlich - kurzum: für viele Kinder und ErzieherInnen ein kleiner Horrortrip.

Gut ist, was für alle passt

Zwischen Anspruch und Realität liegen mitunter Welten. Darum ist es sinnvoll, genau zu prüfen, ob und wie Zähneputzen im eigenen Kindergarten praktikabel ist. Denn: Jeder Kindergarten ist anders. Die Größe der Waschräume, die Zeitfenster zwischen Essen und Abholung, die Anzahl der Kinder bestimmen mit darüber, wann und wie die Zähne geputzt werden können. Wichtig ist auch, was in den Elternhäusern geschieht. In manchen Kindergärten genügt hin und wieder eine Projektwoche zum Thema Zähne. Das tägliche Putzen außer Haus ist dann vielleicht gar nicht so wichtig - die Eltern sind ohnehin sensibilisiert genug. In anderen Einrichtungen kann Zähneputzen unverzichtbarer Dreh- und Angelpunkt der Gesundheitserziehung sein - dann nämlich, wenn auch in den Elternhäusern das Gesundheitsbewusstsein gering ist. Mit ein bisschen Kreativität jedoch findet jeder Kindergarten seinen eigenen Weg, eine individuelle Lösung, mit der Kinder, ErzieherInnen und Eltern gut leben können.

Foto: istock


Praxis

Kindliche Entwicklung: Sinne, unser Tor zur Umwelt

Sie sind ein sensibles, in seinen Bestandteilen fein aufeinander abgestimmtes Netzwerk, was uns in die Lage versetzt, unsere Umwelt zu erfahren. Die Entwicklung unserer fünf Sinne wirkt sich ursächlich auf viele der menschlichen Fähigkeiten aus.

Schon Ungeborene nehmen ihre Umwelt wahr: Bereits im zweiten Schwangerschaftsmonat beginnt das Fühlen im Lippenbereich und breitet sich dann über den ganzen Körper aus. Ab dem vierten Monat bewegen sich die Augen und erkennen Licht. Kurz darauf beginnt das Gehör zu arbeiten. So hören Kinder vor der Geburt bereits den Herzschlag, die Geräusche des Verdauungsapparates und sogar Stimmen von außen. Geruchs- und Geschmackssinn prägen sich zuletzt aus.

Die Aufnahmefähigkeit der menschlichen Sinne ist sehr unterschiedlich: Die meisten Informationen verarbeitet das Auge. Der Tastsinn nimmt etwa ein Zehntel dieser Nachrichtenmenge auf, das Gehör wiederum zehn Prozent davon. Die wenigsten Informationen liefern uns der Geruchs- und der Geschmackssinn. Bei vielen Tieren sind die Empfindlichkeiten der verschiedenen Sinne anders verteilt oder ausgeprägt; so besitzen Hunde beispielsweise ein 50-fach größeres Riechorgan und können nach Schätzungen millionenfach besser riechen als Menschen. Bienen erkennen anders als wir auch polarisiertes und ultraviolettes Licht. Zitteraale nehmen elektrische Felder wahr. Und viele Zugvögel orientieren sich am Magnetfeld der Erde.

Doch auch beim Menschen gibt es nach heutigen Erkenntnissen mehr als die klassischen fünf Sinne. So besitzen wir einen Temperatursinn: Rezeptoren in der Haut messen die Umgebungstemperatur, andere die Bluttemperatur im Körper. Ganz ähnlich gibt es in der Haut Schmerzrezeptoren.

Zunehmende Beachtung gerade für die Entwicklung von Kindern erfahren der Gleichgewichtssinn und das Körperlageempfinden (Propriorezeption). Studien zeigen, dass diese Sinne bei Kindern heute sehr schwach ausgeprägt sind - sie aber eine hohe Bedeutung für ihre Lernfähigkeit besitzen. Darüber hinaus werden teilweise weitere Fähigkeiten als Sinneswahrnehmungen eingeordnet, etwa die Regulierung des Blutdrucks oder das Zeitempfinden.


Hören

Die Stimme seiner Mutter erkennt ein Baby nach der Geburt wieder. Auch der Klang der Muttersprache sowie während der Schwangerschaft häufig gehörte Melodien sind ihm vertraut. Unser Gehör ist erstaunlich empfindlich: Immerhin nehmen wir noch wahr, wenn ein Mensch in 35 Metern Entfernung leise atmet. Über das Trommelfell und die feinen Gehörknöchelchen gelangt der Schall ins Innenohr. Dort verstärkt die Schnecke die ankommenden Schallwellen. Winzige Härchen übersetzen dies in Nervenimpulse, die im Gehirn verarbeitet werden. Kleine Kinder können sehr hohe Töne bis etwa 20.000 Hertz (20.000 Schwingungen pro Sekunde) wahrnehmen; bei Erwachsenen verliert sich die Empfindlichkeit der Sinneshärchen, sodass wir meist nur etwa 8.000 bis 15.000 Hertz hören können.

Allerdings birgt die Empfindlichkeit des Hörsinns auch die Gefahr der Überreizung: Selbst im Schlaf sind wir "ganz Ohr", ständig filtern wir Geräusche. Jeder Lärm löst die Ausschüttung von Stresshormonen aus, selbst wenn wir ihn "ausgeblendet" haben. Die Folgen sind erhöhter Herzschlag und Blutdruck sowie messbare Einflüsse etwa auf Blut, Haut und Magen. Eine Studie im Gebiet des Münchner Flughafens wies bei Kindern nach, dass Lärmbelastung zu Schlafstörungen, erhöhtem Blutdruck und mehr Stresshormonen führte. Die Folgen waren messbar schlechtere Gedächtnisleistungen und längere Reaktionszeiten.

Ganz wesentlichen Einfluss hat der Lärmpegel auf den Lernpegel: In vielen Kindergärten und Schulen werden Lautstärken von 65 bis 75 Dezibel gemessen, mit Spitzen bis über 100 Dezibel - angenehm wären 54 Dezibel. Das ist anstrengend. Besonders problematisch sind Räume, die kaum schallisoliert sind. Besserung bieten dämmende Korkfliesen, Filzgleiter an den Stühlen und gespannte Stoffbahnen. Hilfreich ist der Wechsel zwischen fröhlichem Lärmen und Ruhezeiten zum leisen Spielen oder Lesen sowie häufiges Draußenspielen. Laute Spielzeuge wie Pistolen, Knackfrösche und Trillerpfeifen gehören nicht an Kinderohren.
 

Sehen

Wissenschaftler fanden vor einiger Zeit einen engen Zusammenhang zwischen Hören und Sehen: Das Innenohr ist notwendig für die räumliche Wahrnehmung, legen Versuche an Affen nahe. Das Gleichgewichtsorgan im Innenohr hilft bei der Einschätzung von Distanzen. Die Sinne sind also eng vernetzt.

Das Sehen entwickelt sich vergleichsweise langsam. Neugeborene sehen lediglich nahe Gegenstände unscharf und verschwommen, denn das Gehirn kann die Sehreize noch nicht gut verarbeiten. Zudem können Babys in den ersten Lebenswochen beide Augen noch nicht exakt gleich bewegen. So dauert es einige Wochen, bis es seine Eltern von anderen Personen unterscheiden kann. Es muss das Sehen erst lernen - und perfektioniert dies bis zum sechsten Lebensjahr. Noch zwei Jahre länger dauert es, bis das Blickfeld dem von Erwachsenen entspricht. Jüngere Kinder sehen seitlich etwa ein Drittel weniger. Dies ist vor allem im Straßenverkehr von Bedeutung: Kinder sehen mögliche Gefahren aus den Augenwinkeln viel später. Zudem dauert bei ihnen die Informationsweiterleitung und die Umstellung von Nah- auf Fernsicht länger, was zusätzlich die Einschätzung von Geschwindigkeiten erschwert.

Das Auge besitzt verschiedene Sehzellen, die für unterschiedliche Wahrnehmungen zuständig sind: für Helligkeit, Graustufen, Farbe, Bewegung und Kanten. Ein großer Teil des Gehirns ist auf die Verarbeitung und Erinnerung von Seh-Erfahrungen spezialisiert - immerhin liefert dieser Sinn uns 80 Prozent unserer Informationen. Interessanterweise gibt es Hinweise darauf, dass die Sehzentren von Frauen und Männern leicht unterschiedlich aufgebaut sind. Wissenschaftler schließen daraus, dass Frauen und Männer möglicherweise mit unterschiedlichen Strategien Seh-Erfahrungen im Gehirn verarbeiten.

Wissenschaftliche Studien weisen darauf hin, dass die Aufnahme von Tageslicht zudem eine bedeutende Rolle für die Gesundheit spielt. So sind Kinder bei Leuchtstofflicht deutlich unaufmerksamer und stressanfälliger als bei Tageslicht. Tageslicht hat höhere Beleuchtungsstärken (gemessen in Lux) als Kunstlicht: So müssen etwa Büros mit lediglich 500 Lux beleuchtet sein. Das Tageslicht erreicht jedoch selbst an grauen, bedeckten Wintertagen 3.000 Lux, an sonnigen Tagen können es 100.000 Lux werden. Tageslicht erhöht die Sehschärfe und die Erkennungsgeschwindigkeit. Das sehr konstante Kunstlicht ist zudem ermüdender als das wechselnde Tageslicht.

Das Dunkelhormon Melatonin wird bei Lichtstärken ab 2.500 Lux abgebaut,
was wesentlich zu Wachheit und guter Laune beiträgt. Auch die für das Wohlbefinden wichtigen Hormone Serotonin und Noradrenalin sind lichtgesteuert. Licht hat damit auch Einfluss auf unseren Stoffwechsel, den Wasser- und Vitaminhaushalt und das Immunsystem. Besonders in Kinderzimmern, Kindergärten und Schulen sollte viel natürliches Licht selbstverständlich sein - und viel Bewegung an der frischen Luft.

Autorin:
Dr. Anja Störiko ist Wissenschaftsjournalistin und Buchautorin
Quelle: Kinderzeit - Printausgabe / Februar 2011