April 2011

Medien

Eine Leseecke gestalten und einrichten

Jeder hat die Erfahrung schon gemacht, sie ist geradezu unausweichlich: Erst die positive Atmosphäre, die ein Raum ausstrahlt, trägt zum Wohlbefinden der Menschen bei, die sich dort aufhalten und beschäftigen. Ob in Schule oder Kindergarten: die Lern- und Spielatmosphäre wird durch einen entsprechend behaglich, wohnlich und heimelig gestalteten Raum mitgeprägt. Kalt und häßlich wirkende Räume können sogar eine verstörende Atmosphäre schaffen. Daher kann das räumliche Umfeld auch eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für die Lesemotivation haben. Mit einem Buch in der Hand, stehend an der harten Wand gelehnt, stellt sich nicht unbedingt jene Wohlfühl-Atmosphäre ein, die man sich bei anregender Lektüre wünscht.

Um Kinder für das Lesen zu begeistern bedarf es bestimmter Orte in einem Raum, die neugierigen Leseratten oder Bücherwürmern als behagliches Rückzugsgebiet für die Beschäftigung mit Büchern angeboten werden können. Wer lesen möchte braucht Ruhe und eine entspannte, aber durchaus anregende Umgebung. Auch in größeren Gruppenräumen von Schulen oder Kindergärten bietet sich daher eine vielfach praktizierte Lösung an: das Einrichten einer Leseecke.
Wie aber sollte oder könnte eine solche Leseecke aussehen? Was gehört als „Ausstattung“ dazu? Im Folgenden werden vor dem Hintergrund verschiedener Erfahrungen einige Anregungen und Hinweise gegeben, die bei der Gestaltung einer Leseecke zu bedenken sind.

Pädagogische Bedeutung von Leseecken

Unter pädagogischen Aspekten lassen sich im Wesentlichen drei Funktionen von Leseecken benennen. Zum einen sollen sie Freude am Lesen vermitteln; freies „Schmökern“ in Pausen, Vorlesestunden sowie Buchvorstellungen durch Erzieher, Eltern oder Schüler – all das kann in der Leseecke stattfinden. Neben der eigentlichen Lektüre kann den Kindern auch die Möglichkeit eröffnet werden, Bücher und Medien (auch für zu Hause) auszuleihen. Zweitens ist die Unterstützung des vorschulischen Lernens zu sehen: Kleingruppen können in der Lesegruppe „arbeiten“, sich mit Buch- und Leseprojekten beschäftigen, Bücher und Geschichten können gespielt und als kleine Theaterstücke umgesetzt werden. Eng damit verbunden ist der dritte Aspekt: die Förderung der Medienkompetenz. Denn unter Umständen kann die Präsentation von Büchern sogar unter Einbeziehung neuer Medien wie Hörbücher, CD-Roms, PC und Internet erfolgen. 

 

Warum ist Vorlesen für unsere Kinder so wichtig?

Welcher Raum – oder welche Ecke?

Natürlich wäre ein eigener Raum zum Lesen ideal. Meistens besteht diese Möglichkeit jedoch nicht, so dass auch Gruppen- und Aufenthaltsräume mitgenutzt werden können. Zu fragen ist in diesem Fall, inwieweit der Raum weitgehend für die Leseecke zur Verfügung steht oder auch für andere Zwecke genutzt wird. Ist der Raum abschließbar oder soll die Leseecke in einem offenen Bereich untergebracht werden? Liegt der Raum zentral oder abgelegen? Reicht die Beleuchtung aus? Fragen, die sich auch durch die weiteren Gestaltungsmöglichkeiten einer Leseecke klären lassen.

Bei der Planung muss der wichtigste Zweck einer Leseecke immer im Vordergrund stehen: Kinder sollen hier vor allem Spaß am Lesen entwickeln können und die Einrichtung gern nutzen.

Bestandteile einer Leseecke

Grundlagen einer erfolgreichen Leseecke sind natürlich aktuelle und empfehlenswerte Bücher wie erzählende Literatur, Sach- und Bilderbücher, Hörbücher auf Kassette oder CD, aber auch CD-Roms sowie kindgemäße Zeitschriften und Magazine. Neben diesen inhaltlichen Komponenten sind aber auch die äußeren Ausstattungsmerkmale wichtig, wie z. B. geeignetes Mobiliar.

Dazu gehören Regale, Präsentationsmöbel sowie eine kleine gemütliche Sitzecke mit Stühlen, Tischen, Sesseln oder einer Lesetreppe.

 „Sitzt du gut - oder liegst du schon ...?“

Im Sitzen liest es sich nicht nur leichter, sondern auch das Zuhören ist natürlich wesentlich entspannter! Kissen zum Reinkuscheln - da macht Zuhören doppelt so viel Spass.

Zentrales Element jeder Leseecke ist eine gemütliche Sitzmöglichkeit.

Schon mit relativ wenig Aufwand können sehr attraktive Sitzplätze geschaffen werden, die zum Schmökern einladen. Das können bequeme Sessel sein, aber auch Sitzsäcke oder Matratzen, auf denen man sich's mit besagten Kissen gemütlich machen kann. Aber auch Tische und Stühle sollten vielleicht als „Arbeitsplätze“ zur Verfügung stehen. Vor allem kommt es auf die Ausgewogenheit von „Lesespaß“ und „Leseernst“ an, damit die Leseecke allen Nutzungsformen gerecht wird. 

Bücher und Leser - ins rechte Licht gerückt

 Bücher müssen ins rechte Licht gerückt werden – also muss beim Lesen für ausreichende Beleuchtung von Selbst- und Vorleser gesorgt sein. Gut macht sich die Nähe zum Fenster, zumindest wenn davor nicht das Leben tobt und ständig ablenkt. „Das Lesen von Büchern ist ein Austausch mit dem Text. Er lässt im Kopf Bilder entstehen. Dieser Prozess wird durch einen weit schweifenden Blick aus dem Fenster gut ergänzt“, sagt Bodo Franzmann, Leseforscher bei der Stiftung Lesen in Mainz. Allerdings macht es wenig Sinn, den Sitzplatz frontal zum Fenster auszurichten: Dann liegt der Text im Schatten. Besser ist eine seitliche Position. Reicht das nicht aus, müssen halt die Lampen eingeschaltet werden – oder nur eine Leselampe für den Vorleser, so dass auch über das Licht eine gemütliche Atmosphäre entstehen kann.

 „Leseoasen“ – gestalterische Erfahrungen

 Aus einer Leseecke kann durch ideenreiche, kreative Gestaltung eine Leseoase werden. Das fängt an bei einem übersichtlichen Bücherregal, in dem sich Kinder leicht zurecht finden. Bücher können hier nach Alter und Sachgebiet sortiert erscheinen, zusätzlich kann eine Stöberkiste aufgestellt werden. Auch kann man eine kleine bemalte Holzkiste an der Wand befestigen auf der dann z. B. geschrieben steht: Buch der Woche! Eine Tafel oder Pinnwand mit den Fotos der Lesekinder gibt der Leseecke einen persönlichen Touch. Der gestalterischen Phantasie sind hier im Prinzip keine Grenzen gesetzt, wie auch Erfahrungen von Erzieherinnen veranschaulichen:

„Ich habe einen kleinen Gruppenraum, wo ich eine Leseoase eingerichtet habe; eine Palme an die Wand gemalt, zwei kleine Bänke und einige Kissen gemütlich bereitgestellt. Zwei kleinere Bücherregale habe ich in vier Kategorien eingeteilt: Sachbücher, Vorlesegeschichten und Lieblingsbücher der Kinder. Unser Maskottchen, der Rabe Rudi, hat einen Platz auf der Palme und ist als Pirat verkleidet. Wir haben einmal in der Woche eine Lesestunde eingerichtet, da kommen auch Eltern zum Lesecafé. Ansonsten bekommen die Kinder auch zwischendurch die Gelegenheit unsere Leseoase zu nutzen - und in der Regenpause ist sie sehr beliebt.“

Regeln – zum Wohle der Bücher und Kinder ...

Bücher werden oft in die Hand genommen – und leiden dabei mitunter, je nachdem wie „sensibel“ der Nutzer mit ihnen umgeht. Damit die schönen Schmöker noch lange im guten Zustand bleiben, sollte den Kindern eine pflegliche Behandlung der Bücher durch bestimmte Regeln vermittelt werden. Auch hier gibt es unterschiedliche Möglichkeiten – entsprechend den Aussagen einiger Erzieherinnen, die auch hier aus Erfahrung sprechen:

„Wir haben den Kindern erklärt und gezeigt, wie sie die Bücher behandeln sollten (liegend am Boden oder mit beiden Händen an den Seiten halten, vorsichtiges Umblättern an der Ecke, nicht einreißen etc.).“

Ein Regelplakat in Schriftform ist natürlich nur sinnvoll, wenn die Kinder bereits lesen können. Alternative:

„In einer Einrichtung habe ich am Bücherregal ein Schild gesehen, das aussah wie eines der dreieckig-roten Warnzeichen aus dem Straßenverkehr mit dem Hinweis: „Pass auf mich auf!“

Für Kinder ist es jedoch mitunter schwierig sich an Regeln zu halten und Sorge für die Bücher zu tragen, weshalb einige beschädigte Bücher direkt angeschaut werden sollten:

„Um die Regeln in der Lesecke einzuführen, habe ich Bücher mit ausgerissenen Seiten und einem kaputten Rücken ausgewählt. Dann haben wir zusammen überlegt, wie das passiert sein könnte. Die Gründe kannten die Kinder genau. Heute gibt es Regeln wie ,keine Bücher auf den Boden legen, nach dem Lesen zurück ins Leseregal und kaputte Bücher direkt auf den Schreibtisch legen'. Seitdem ist die Beschädigung von Büchern sehr zurück gegangen. Auch ist die Leseecke kein Ort,  wo geturnt werden sollte. Für Bücher muss Sorge getragen werden. Dabei haben die Kinder viele eigene Ideen entwickelt, wie dies geschehen soll - und machen sich gegenseitig darauf aufmerksam!“

 


Praxis

Zähneputzen in der Kita

Zähneputzen im Kindergarten ist ein pädagogisches Abenteuer, das sich lohnt - wenn die Voraussetzungen stimmen.

Jeder tut es, täglich: Zähneputzen. Man könnte meinen, Zähneputzen sei ein Kinderspiel. Dabei ist es in Wirklichkeit äußerst kompliziert. Vor allem für Kinder. Es gilt, die richtige Menge Zahnpasta aus der Tube zu drücken und so auf dem Borstenkopf zu platzieren, dass sie nicht gleich wieder runter rutscht. Geschickt muss die kleine Kinderhand die Bürste zum Mund balancieren. Dort soll jeder einzelne Zahn hinten, vorn und unten gereinigt werden, vorsichtig, gründlich, mit wohl dosiertem Druck. Dann heißt es: Ausspülen und ins Waschbecken treffen, ohne sich zu bekleckern. Die Bürste auswaschen, den Becher auch. Alles wieder an seinen Platz zurückstellen.


Eine koordinatorische Höchstleistung ist das. Kinder benötigen viel Übung dazu. Sie brauchen Erwachsene an der Seite, die ihnen täglich zeigen, wie wichtig das Zähneputzen ist und wie man dabei vorgeht. Geht es nach der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, sollten ErzieherInnen diesen Job übernehmen. Zwar empfehlen die Experten genauso wie die American Dental Association, zweimal am Tag Zähne zu putzen. Die Pflege zu Hause müsste also eigentlich genügen. Aber nicht alle Eltern nehmen die Zahnpflege ihrer Sprösslinge ernst genug. Und: Gerade morgens vor dem Aufbruch in den Kindergarten und am Abend vor dem Zubettgehen herrschen in Familien Zeitdruck und Überforderung. Das Zähneputzen wird dann leicht zur lästigen, von Misstönen begleiteten Pflicht.
 

Zank und Streit am häuslichen Waschbecken

Im Kindergarten dagegen herrscht eine besondere Situation: Hier ist Zähneputzen eine pädagogisch begleitete Gemeinschaftserfahrung. Alle rundum, sieht das Kind, putzen sich die Zähne. Auf die Erzieherin zu hören fällt da nicht selten leichter als auf Mutter und Vater zu Hause. Und auch den Erzieherinnen und Erziehern kann es Spaß machen, Kindern zur Selbstständigkeit beim Zähneputzen zu verhelfen. Weiß man doch, dass frühe Gesundheitserziehung lebenslang Früchte trägt. Im Idealfall beaufsichtigt ein Erwachsener eine kleine Gruppe von Kindern im Bad. Er achtet darauf, dass die richtigen Bürsten verwendet werden und dass das Putzen mit Sorgfalt geschieht.

Geputzt wird erst eine halbe bis ganze Stunde nach dem Essen. Denn die Säure, zum Beispiel aus dem an sich so gesunden Obstnachtisch, greift den Zahnschmelz an. Beim Bürsten leiden die Zähne umso mehr. Nach dem Putzen zeigt die Erzieherin bzw. der Erzieher wie man die Bürste reinigt und unterstützt die Kinder dabei, Ordnung zu schaffen. Das tägliche Zähneputzen mit einer fluoridhaltigen Paste flankieren andere pädagogische Maßnahmen wie Zahnarztbesuche und Zahnarztspiele, Ernährungskunde und einfühlsame Elterngespräche vor allem dann, wenn Kinder ein besonders hohes Kariesrisiko haben. Es regiert ein Gesamtkonzept, das Kindern wie Eltern den Nutzen des Zähneputzens erschließt. So weit die Theorie.

Die tatsächlichen Bedingungen, unter denen das Zähneputzen in Kindergärten stattfindet, sind allerdings häufig düster: zu enge Waschräume, zu wenig Waschbecken, zu wenig Zeit zwischen Mittagessen und Abholung der Kinder und vor allem: zu wenig Personal. Eltern klagen darüber, dass Kinder ihre Bürsten vertauschen - unabhängig davon, ob alles mit Namen versehen ist. Bürsten rutschen auf dem Fußboden herum, Borsten biegen sich in alle Himmelsrichtungen, Zahnpastatuben verschwinden, T-Shirts sind weiß bekleckert. Im Nassraum entsteht Chaos, es bleibt keine Zeit zum Vorlesen vor dem Mittagsschlaf, das Putzen schluckt Stunden und ist trotzdem alles andere als gründlich - kurzum: für viele Kinder und ErzieherInnen ein kleiner Horrortrip.

Gut ist, was für alle passt

Zwischen Anspruch und Realität liegen mitunter Welten. Darum ist es sinnvoll, genau zu prüfen, ob und wie Zähneputzen im eigenen Kindergarten praktikabel ist. Denn: Jeder Kindergarten ist anders. Die Größe der Waschräume, die Zeitfenster zwischen Essen und Abholung, die Anzahl der Kinder bestimmen mit darüber, wann und wie die Zähne geputzt werden können. Wichtig ist auch, was in den Elternhäusern geschieht. In manchen Kindergärten genügt hin und wieder eine Projektwoche zum Thema Zähne. Das tägliche Putzen außer Haus ist dann vielleicht gar nicht so wichtig - die Eltern sind ohnehin sensibilisiert genug. In anderen Einrichtungen kann Zähneputzen unverzichtbarer Dreh- und Angelpunkt der Gesundheitserziehung sein - dann nämlich, wenn auch in den Elternhäusern das Gesundheitsbewusstsein gering ist. Mit ein bisschen Kreativität jedoch findet jeder Kindergarten seinen eigenen Weg, eine individuelle Lösung, mit der Kinder, ErzieherInnen und Eltern gut leben können.

Foto: istock


Praxis

Kindliche Entwicklung: Sinne, unser Tor zur Umwelt

Sie sind ein sensibles, in seinen Bestandteilen fein aufeinander abgestimmtes Netzwerk, was uns in die Lage versetzt, unsere Umwelt zu erfahren. Die Entwicklung unserer fünf Sinne wirkt sich ursächlich auf viele der menschlichen Fähigkeiten aus.

Schon Ungeborene nehmen ihre Umwelt wahr: Bereits im zweiten Schwangerschaftsmonat beginnt das Fühlen im Lippenbereich und breitet sich dann über den ganzen Körper aus. Ab dem vierten Monat bewegen sich die Augen und erkennen Licht. Kurz darauf beginnt das Gehör zu arbeiten. So hören Kinder vor der Geburt bereits den Herzschlag, die Geräusche des Verdauungsapparates und sogar Stimmen von außen. Geruchs- und Geschmackssinn prägen sich zuletzt aus.

Die Aufnahmefähigkeit der menschlichen Sinne ist sehr unterschiedlich: Die meisten Informationen verarbeitet das Auge. Der Tastsinn nimmt etwa ein Zehntel dieser Nachrichtenmenge auf, das Gehör wiederum zehn Prozent davon. Die wenigsten Informationen liefern uns der Geruchs- und der Geschmackssinn. Bei vielen Tieren sind die Empfindlichkeiten der verschiedenen Sinne anders verteilt oder ausgeprägt; so besitzen Hunde beispielsweise ein 50-fach größeres Riechorgan und können nach Schätzungen millionenfach besser riechen als Menschen. Bienen erkennen anders als wir auch polarisiertes und ultraviolettes Licht. Zitteraale nehmen elektrische Felder wahr. Und viele Zugvögel orientieren sich am Magnetfeld der Erde.

Doch auch beim Menschen gibt es nach heutigen Erkenntnissen mehr als die klassischen fünf Sinne. So besitzen wir einen Temperatursinn: Rezeptoren in der Haut messen die Umgebungstemperatur, andere die Bluttemperatur im Körper. Ganz ähnlich gibt es in der Haut Schmerzrezeptoren.

Zunehmende Beachtung gerade für die Entwicklung von Kindern erfahren der Gleichgewichtssinn und das Körperlageempfinden (Propriorezeption). Studien zeigen, dass diese Sinne bei Kindern heute sehr schwach ausgeprägt sind - sie aber eine hohe Bedeutung für ihre Lernfähigkeit besitzen. Darüber hinaus werden teilweise weitere Fähigkeiten als Sinneswahrnehmungen eingeordnet, etwa die Regulierung des Blutdrucks oder das Zeitempfinden.


Hören

Die Stimme seiner Mutter erkennt ein Baby nach der Geburt wieder. Auch der Klang der Muttersprache sowie während der Schwangerschaft häufig gehörte Melodien sind ihm vertraut. Unser Gehör ist erstaunlich empfindlich: Immerhin nehmen wir noch wahr, wenn ein Mensch in 35 Metern Entfernung leise atmet. Über das Trommelfell und die feinen Gehörknöchelchen gelangt der Schall ins Innenohr. Dort verstärkt die Schnecke die ankommenden Schallwellen. Winzige Härchen übersetzen dies in Nervenimpulse, die im Gehirn verarbeitet werden. Kleine Kinder können sehr hohe Töne bis etwa 20.000 Hertz (20.000 Schwingungen pro Sekunde) wahrnehmen; bei Erwachsenen verliert sich die Empfindlichkeit der Sinneshärchen, sodass wir meist nur etwa 8.000 bis 15.000 Hertz hören können.

Allerdings birgt die Empfindlichkeit des Hörsinns auch die Gefahr der Überreizung: Selbst im Schlaf sind wir "ganz Ohr", ständig filtern wir Geräusche. Jeder Lärm löst die Ausschüttung von Stresshormonen aus, selbst wenn wir ihn "ausgeblendet" haben. Die Folgen sind erhöhter Herzschlag und Blutdruck sowie messbare Einflüsse etwa auf Blut, Haut und Magen. Eine Studie im Gebiet des Münchner Flughafens wies bei Kindern nach, dass Lärmbelastung zu Schlafstörungen, erhöhtem Blutdruck und mehr Stresshormonen führte. Die Folgen waren messbar schlechtere Gedächtnisleistungen und längere Reaktionszeiten.

Ganz wesentlichen Einfluss hat der Lärmpegel auf den Lernpegel: In vielen Kindergärten und Schulen werden Lautstärken von 65 bis 75 Dezibel gemessen, mit Spitzen bis über 100 Dezibel - angenehm wären 54 Dezibel. Das ist anstrengend. Besonders problematisch sind Räume, die kaum schallisoliert sind. Besserung bieten dämmende Korkfliesen, Filzgleiter an den Stühlen und gespannte Stoffbahnen. Hilfreich ist der Wechsel zwischen fröhlichem Lärmen und Ruhezeiten zum leisen Spielen oder Lesen sowie häufiges Draußenspielen. Laute Spielzeuge wie Pistolen, Knackfrösche und Trillerpfeifen gehören nicht an Kinderohren.
 

Sehen

Wissenschaftler fanden vor einiger Zeit einen engen Zusammenhang zwischen Hören und Sehen: Das Innenohr ist notwendig für die räumliche Wahrnehmung, legen Versuche an Affen nahe. Das Gleichgewichtsorgan im Innenohr hilft bei der Einschätzung von Distanzen. Die Sinne sind also eng vernetzt.

Das Sehen entwickelt sich vergleichsweise langsam. Neugeborene sehen lediglich nahe Gegenstände unscharf und verschwommen, denn das Gehirn kann die Sehreize noch nicht gut verarbeiten. Zudem können Babys in den ersten Lebenswochen beide Augen noch nicht exakt gleich bewegen. So dauert es einige Wochen, bis es seine Eltern von anderen Personen unterscheiden kann. Es muss das Sehen erst lernen - und perfektioniert dies bis zum sechsten Lebensjahr. Noch zwei Jahre länger dauert es, bis das Blickfeld dem von Erwachsenen entspricht. Jüngere Kinder sehen seitlich etwa ein Drittel weniger. Dies ist vor allem im Straßenverkehr von Bedeutung: Kinder sehen mögliche Gefahren aus den Augenwinkeln viel später. Zudem dauert bei ihnen die Informationsweiterleitung und die Umstellung von Nah- auf Fernsicht länger, was zusätzlich die Einschätzung von Geschwindigkeiten erschwert.

Das Auge besitzt verschiedene Sehzellen, die für unterschiedliche Wahrnehmungen zuständig sind: für Helligkeit, Graustufen, Farbe, Bewegung und Kanten. Ein großer Teil des Gehirns ist auf die Verarbeitung und Erinnerung von Seh-Erfahrungen spezialisiert - immerhin liefert dieser Sinn uns 80 Prozent unserer Informationen. Interessanterweise gibt es Hinweise darauf, dass die Sehzentren von Frauen und Männern leicht unterschiedlich aufgebaut sind. Wissenschaftler schließen daraus, dass Frauen und Männer möglicherweise mit unterschiedlichen Strategien Seh-Erfahrungen im Gehirn verarbeiten.

Wissenschaftliche Studien weisen darauf hin, dass die Aufnahme von Tageslicht zudem eine bedeutende Rolle für die Gesundheit spielt. So sind Kinder bei Leuchtstofflicht deutlich unaufmerksamer und stressanfälliger als bei Tageslicht. Tageslicht hat höhere Beleuchtungsstärken (gemessen in Lux) als Kunstlicht: So müssen etwa Büros mit lediglich 500 Lux beleuchtet sein. Das Tageslicht erreicht jedoch selbst an grauen, bedeckten Wintertagen 3.000 Lux, an sonnigen Tagen können es 100.000 Lux werden. Tageslicht erhöht die Sehschärfe und die Erkennungsgeschwindigkeit. Das sehr konstante Kunstlicht ist zudem ermüdender als das wechselnde Tageslicht.

Das Dunkelhormon Melatonin wird bei Lichtstärken ab 2.500 Lux abgebaut,
was wesentlich zu Wachheit und guter Laune beiträgt. Auch die für das Wohlbefinden wichtigen Hormone Serotonin und Noradrenalin sind lichtgesteuert. Licht hat damit auch Einfluss auf unseren Stoffwechsel, den Wasser- und Vitaminhaushalt und das Immunsystem. Besonders in Kinderzimmern, Kindergärten und Schulen sollte viel natürliches Licht selbstverständlich sein - und viel Bewegung an der frischen Luft.

Autorin:
Dr. Anja Störiko ist Wissenschaftsjournalistin und Buchautorin
Quelle: Kinderzeit - Printausgabe / Februar 2011